Offener Brief

Liebe Frauen der Zürcher Landeskirche

Kürzlich blieb ich beim Lesen alter Texte bei Notizen, Protokollen und Briefen der ökumenischen Frauenbewegung hängen, die ich aufbewahrt hatte. Schritt für Schritt kamen mir  die vergangenen 30 Jahre wieder entgegen. Und ich staunte über die Kraft, die die Frauengruppen damals hatten, über ihre leichtfüssige Kreativität. Über die Leidenschaft und Freude am neuen Auslegen der biblischen Texte und über die Umsetzung in Gottesdiensten und an Frauenkirchentagen. Alle, die damals mit fieberten und sich mitziehen liessen oder selber zogen, haben unendlich viel Zeit investiert. Das tut frau nur, wenn sie auch etwas gewinnt. Offenbar hat es vielen Frauen viel gegeben.

Sind Freude und Kraft verflogen? Wenn ja, wohin? Schlummern sie irgendwo im Verborgenen?

Damals war vieles lebendig

Ich weiss, dass viele von den damals aktiven Frauen sich weiterhin in der Kirche engagieren, dass sie irgendwo umzusetzen versuchen, was damals lebendig war. Wie ich auch. Aber es ist gar nicht so einfach. Vielleicht haben wir ja einfach einiges erreicht, was uns wichtig war damals. Und mehr scheint nicht möglich oder nicht nötig. Aber das stimmt ja wohl nicht ganz. Es wäre auch heute wieder einiges nötig und vielleicht sogar einiges möglich.

Und da stehe ich nun mit diesen Fragen: Was wäre nötig? Was wäre heute an der Zeit? Wo steht Ihr jungen Frauen? Was bewegt Euch, die Ihr nie für gleiche Rechte kämpfen musstet? Was sind Eure Wünsche, Hoffnungen, Visionen?

Was kann eine einzige Frau tun? Was soll ich auszurichten versuchen? Wer würde mich dabei unterstützen? Mindestens moralisch?

Und da bin ich beim Stichwort: Moralisch.

Philosophen getrauen sich

Ich bin ja keine Philosophin, aber ich kam in der Redaktion Sternstunden regelmässig mit philosophischen Fragen in Kontakt, was ich als grosse Chance erlebte! Und da ist mir aufgefallen, dass sich die Philosophen neuerdings getrauen, wieder von Moral zu reden. Es sei wichtig, sich wieder ein Verhalten anzueignen, das verantwortbar ist und dann dazu zu stehen. Kein saures Moralin, kein  trauriges Darben, sondern ein kreatives Verzichten, vielleicht unterbrochen von fröhlichem Feiern in Fülle. Eine Umkehr mit dem rechten Mass.

Kirchenleute zögern

Und da denke ich immer wieder, dass wir Kirchenleute das Reden vom verantwortungsbewussten Verhalten eigentlich nicht den Philosophen allein überlassen sollten. Verantwortungsbewusstes Handeln war seit jeher auch eine Frauendomäne. Was tun wir anderes, wenn wir einen Haushalt führen und dafür sorgen, dass alle zu ihrem Recht kommen, dass es für alle reicht, dass Ordnung herrscht und es in der Wohnung schön und behaglich ist? Gerade die Schönheit in allem finde ich wichtig. Frisch gebügelte und sorgfältig zusammengefaltet Wäsche, ein Blumenstrauss am richtigen Ort, zufrieden spielende Kinder, der Duft eines Kuchens im Ofen etc. Ich komme aber auch ins Schwärmen, wenn ich an die Arbeit von vielen Frauen in ihren Berufen denke, die dort genau dies ebenfalls tun: Gut Haushalten, alle miteinbeziehen, eine Aufgabe sorgfältig zu Ende führen.

Wir sind frei

Beim Nachdenken über Devisen für unser Handeln könnten wir aus zwei Quellen schöpfen: Aus dem grossen Schatz biblischer Texte und aus den vollen Töpfen der feministischen Theologie. Daraus könnten sich dann  10 Gebote für heute ergeben.

Die zehn Gebote beginnen mit dem Hinweis Gottes, dass er sein Volk aus der Sklaverei hinaus geführt hat. Das Volk ist nun frei. Frei, sich einen eigenen Verhaltenskodex zu geben. Sich einen Rahmen geben, Gebote formulieren können nur freie Menschen.

Mitverantwortlich für gesellschaftliche Grundregeln

Es ist nicht einfach, heute neue Grundregeln zu entwerfen. Umso mehr hat mich gefreut, dass einzelne Frauen und Frauengruppen den Versuch gewagt haben. So zum Beispiel Brigitte Becker, Barbara Schröder, Beatrix Gmür, Agnes Hohl. Das Resultat ist hier als PDF angefügt.

Frauengebote